Getauft und gesandt

Heilige unserer Zeit

Oscar Arnulfo Romero und Pedro Arrupe

von Jon Sobrino

Am 24. März 2019 ist es 39 Jahre her, dass Bischof Romero während einer Messe ermordet wurde. Und am 5. Februar begann im Vatikan der Heiligsprechungsprozess für Jesuitenpater Pedro Arrupe. Beides waren herausragende Menschen und Christen, die uns zur Nachfolge Jesu und zu einer größeren Liebe motivieren können. Ihr Beispiel  kann andere mit Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit durchdringen. Eine Erinnerung.

Autor

Jon Sobrino
namhafter Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, lebt in San Salvador

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Pater Pedro Arrupe Gondra wurde am 14. November 1907 in Bilbao geboren und war von 1965 bis 1983 Generaloberer der Jesuiten. Er starb am 5. Februar 1991. Bischof Romero wurde am 15. August 1917 geboren. Von 1977 bis zu seiner Ermordung am 24. März 1980 war er Erzbischof von San Salvador. In Carta a las Iglesias (»Brief an die Kirchen«) habe ich sehr oft über Bischof Romero und zuweilen auch über Pater Arrupe geschrieben. In einer Reihe von aufeinanderfolgenden Briefen habe ich den Heiligsprechungsprozess mit der Wiedergabe seiner Schriften begleitet. Nun möchte ich mich auf das konzentrieren, was beide als Menschen, als Christen, als Priester und als Männer in einer kirchlichen Leitungsfunktion gemeinsam hatten.

 

Herausragende Menschen

Ignacio Ellacuría, kein Mann der leeren Floskeln und ein guter Kenner beider, sowohl Bischof Romeros als auch Pater Arrupes, hielt sie für ganz hervorragende Menschen. Er sagte dies, um Pater Arrupe gegen die Kritik derer in Schutz zu nehmen, die ihm eine schlechte Erfüllung seiner Leitungsaufgabe als Generaloberer der Gesellschaft Jesu zum Vorwurf machten und ihn beschuldigten, die Gesellschaft zugrunde zu richten. Ellacuría beharrte darauf, dass Arrupe sein Leitungsamt so ausübte, wie er es musste, das heißt im Sinne des Evangeliums. Um das außergewöhnliche Format beider in christlicher Formulierung zum Ausdruck zu bringen, sagte er über Bischof Romero: »Mit Bischof Romero ging Gott selbst durch El Salvador.« Und über Pater Arrupe sagte er: »Er war der Johannes XXIII. des Ordenslebens.«

Bischof Romero und Pater Arrupe haben sich zu Lebzeiten gekannt, sie haben zusammen über ihre Vorhaben und Probleme gesprochen, sie haben sich gegenseitig ermutigt und getröstet. Und mit einem Höchstmaß an Aufrichtigkeit und Zuneigung brachten sie die Wertschätzung zum Ausdruck, die einer für den anderen hegte. Bischof Romero erwähnt Pater Arrupe mehrmals in seinem Tagebuch. Am 3. Mai 1979 schreibt er: »Ich ging zur Generalkurie der Jesuiten zum Mittagessen. Und sie ließen mir die Ehre zuteil werden, mir einen Platz am Tisch von Pater Arrupe zuzuweisen. Vor dem Essen habe ich mich mit ihm über die Situation der Kirche in meinem Land unterhalten. Und er erzählte mir ebenfalls von verschiedenen Projekten der Gesellschaft Jesu in Lateinamerika.« Am 25. Juni 1978 beschließt er die Schilderung seines langen Gesprächs mit Pater Arrupe mit folgenden Worten: »Er ist ein sehr heiligmäßiger Mann, und man merkt, dass ihn der Geist Gottes erleuchtet.« Bei seinen Aufenthalten in Rom erfuhr Bischof Romero Unterstützung vonseiten Pater Arrupes – und auch von Leuten wie dem argentinischen Kardinal Eduardo Pironio, der in der Kurie des Vatikans nicht gern gesehen war.

Pater Arrupe seinerseits gab im Juli 1983 Miguel Lamet ein Interview. Er war durch eine schwere Krankheit beeinträchtigt, doch er wahrte immer noch jene Freiheit, die ihn auszeichnete. Als er nach Bischof Romero gefragt wurde, gab er zur Antwort: »Ja, das war ein sehr guter Freund von mir. Dank des Beispiels von Pater Rutilio Grande hatte er eine Bekehrung durchgemacht.« Bei einer anderen Gelegenheit hatte er bereits gesagt: »Bischof Romero ist ein Heiliger.« Sie sprachen als zwei Heilige miteinander.

 

Ich bin ein armer Mann, der versucht, dem Werk Gottes so wenig wie möglich im Weg zu stehen.
Pater Arrupe

Die Generalversammlung der Jesuiten hat am 22. Mai 1965 Pedro Arrupe zum 28. Generaloberen des Ordens gewählt. Seine Amtszeit war von Spannungen geprägt. Ein Teil der Jesuiten strebte eine Spaltung des Ordens an.

 

Bereitschaft zur Kehrtwende

Obwohl sie vom Temperament her unterschiedlich waren und unterschiedliche Ämter innehatten, waren sie sich doch in ihrer Bereitschaft zur Veränderung, ja mehr noch, in ihrer Bereitschaft, in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich eine Kehrtwende im Denken, Fühlen und Handeln zu vollziehen, sehr ähnlich. Sie waren Menschen voller Erbarmen und Mitleid allen Leidenden gegenüber. Sie waren Menschen der Gerechtigkeit, indem sie die Unterdrückten gegen die Unterdrücker in Schutz nahmen. Sie waren Menschen der Wahrheit und Freiheit, indem sie Unterdrücker und Verbrecher anklagten. Sie waren Menschen der Stärke, weil sie angesichts von Kritik und Verleumdung standhaft blieben. Und sie waren Menschen der ungetrübten Freude, wenn sie sahen, wie das Evangelium aufblühte und gedieh. Und im Grunde waren sie sich auch hinsichtlich der Art und Weise ähnlich, wie sie die Wirklichkeit El Salvadors begriffen, sich angesichts dieser Wirklichkeit positionierten und dabei die leidvollen Konsequenzen auf sich nahmen. Hinsichtlich der äußeren Formen unterschieden sie sich entsprechend der unmittelbaren Betroffenheit beziehungsweise der geografischen Entfernung von El Salvador.

Zwischen beiden stellte sich ein hohes Maß an spiritueller und historischer Übereinstimmung ein, denn beiden fiel es zu, mit ähnlichen Problemen umzugehen: mit schweren internen Konflikten mit Mitgliedern der Erzdiözese beziehungsweise der weltweiten Gesellschaft Jesu und mit schweren Konflikten nach außen mit den Mächtigen. Und sie tranken aus derselben Quelle lebendigen Wassers: Sie waren mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert und sie nahmen diese Realität auf sich. Beide hegten eine innige Liebe zur Kirche und sie verhielten sich loyal gegenüber der kirchlichen Hierarchie. Und beide litten aufgrund dieser Loyalität.

 

Auf taube Ohren gestoßen

Die Schwierigkeiten, die Bischof Romero mit seinen Mitbrüdern im Bischofsamt sowie mit etlichen Kurienkardinälen hatte, sind bekannt. Und auch die Spannungen zwischen ihm und Papst Johannes Paul II. , der ihn nachdrücklich aufforderte, sich von jeglicher Art von Marxismus zu distanzieren und ein harmonisches Verhältnis zur Regierung zu pflegen, auch wenn diese antidemokratisch war und sogar Verbrechen zuließ. Der Papst hielt sich selbst für einen guten Kenner dieser Angelegenheiten, da er den Kommunismus in Polen erlebt hatte, und mit einem gewissen Anflug von Überheblichkeit gab er Bischof Romero, der die Dinge nicht so sah, den Rat, er möge nicht naiv sein. Bischof Romero fand beim Papst keinerlei Verständnis angesichts der schweren Probleme, die auf seinem Land lasteten. Aus diesem Gespräch ging er weinend fort.

Auch Pater Arrupe litt unter ernsthaften Feindseligkeiten und Angriffen vonseiten seiner eigenen Leute, auch Provinzoberen. Sie wollten, dass der Papst die Spaltung der Gesellschaft Jesu billigte und strebten dies an: Ein Teil sollte die »Gesellschaft des Paters Arrupe« sein, und den anderen Teil nannten sie »die wahre Gesellschaft «. Zwischen ihm und Bischöfen wie Kardinälen gab es häufig Spannungen. Inmitten der erwähnten äußerst schweren Probleme hatte er ernsthafte Schwierigkeiten, von Papst Johannes Paul II. auch nur ein paar Minuten Audienz gewährt zu bekommen. Und als er seinen aus legitimen Gründen gefassten Beschluss bekanntgab, als Generaloberer der Gesellschaft Jesu zurückzutreten, erlaubte Johannes Paul II. ihm dies nicht.

Beide fühlten sich den Märtyrern sehr verbunden und waren dies tatsächlich auch. Auf der Grundlage des Beschlusses der 32. Generalversammlung des Ordens im Jahr 1975 erklärte Pater Arrupe »den Kampf für die Gerechtigkeit« als wesentlich für das Selbstverständnis der Jesuiten und erlebte – wenn ich richtig nachgerechnet habe – die Ermordung von insgesamt 37 Jesuiten. Als man im Jahr 1977 Pater Rutilio Grande ermordete, schrieb er einen Brief an alle Jesuiten weltweit, worin er ihn als Beispiel für alle Jesuiten darstellte. Als man ihm im Jahr 1989 die Ermordung der sechs Jesuiten mitsamt den beiden Frauen Julia Elba und Celina an der UCA, der Zentralamerikanischen Universität von San Salvador, mitteilte, weinte er, wie sein Krankenpfleger bezeugte. Er konnte nicht anders. Die 32. Generalversammlung hatte dies bereits äußerst klarsichtig vorausgesagt: »In der Tat werden wir nicht für die Förderung der Gerechtigkeit arbeiten, ohne dafür einen Preis zu bezahlen.«

Der Fall Bischof Romero ist bekannter. Während der drei Jahre seines Wirkens als Erzbischof wurden sechs Priester ermordet. Und nach seiner eigenen Ermordung wurden ein weiterer Bischof, nämlich Joaquín Ramos, weitere zwölf Priester, ein Seminarist kurz vor seiner Priesterweihe und fünf Ordensfrauen ermordet.

 

Kein Mensch kennt sich selbst, solange er Gott nicht begegnet ist. Möge es die Frucht dieser heutigen Predigt sei, dass ein jeder von uns hingeht, um Gott zu finden, und dass wir die Freude seiner Erhabenheit und unserer eigenen Winzigkeit erleben.

Oscar Romero in einer Predigt sechs Wochen vor seiner Ermordung

 

Beleidigungen und Morddrohungen

Beide, Bischof Romero und Pater Arrupe, litten unter Verachtung und Beleidigungen. Bischof Romero beleidigte man auf unglaublich plumpe Art. Auf der Titelseite einer Zeitung konnte man in großen Lettern lesen: »Bischof Romero verkauft dem Teufel seine Seele.« Und bei einer anderen Gelegenheit hieß es im Innenteil: »Am kommenden Samstag wird an Bischof Romero ein Exorzismus vorgenommen, um ihn vom Dämon zu befreien.« Die Beleidigungen an die Adresse von Pater Arrupe waren subtiler, aber nicht weniger vergiftet. Seine Feinde prägten den Ausspruch: »Ein Baske [Ignatius von Loyola] gründete die Gesellschaft. Und ein anderer Baske [Pedro Arrupe] ist dabei, sie zu zerstören.« Am Ende seines Lebens erhielt Bischof Romero etliche Todesdrohungen. Pater Arrupe hatte ein anderes Kreuz zu tragen, das aber nicht weniger schmerzhaft war: Er litt unter den Folgen eines Schlaganfalls, was ihn, eine Person unermesslicher Kreativität und Sympathie, stark einschränkte.

Im Falle beider war die Reaktion der Kurie nach ihrem Tod in gewisser Weise ähnlich. Bekannt sind die Verspätung und das langsame Vorgehen in Bezug auf die Heiligsprechung Bischof Romeros. Innerhalb der Kurie gab es immer noch Gegner, die nicht wollten, dass ihn die Kirche öffentlich und feierlich zum beispielhaften Christen und mustergültigen Bischof erklärte. Ebenfalls mit Verspätung begann der Heiligsprechungsprozess im Fall Arrupes, sehr wahrscheinlich deshalb, weil man sich im Vatikan noch an sein gespanntes Verhältnis zu Kardinälen und zu Papst Johannes Paul II. erinnerte. Es gab kein santo súbito und auch nicht die Mühelosigkeit wie in den Heiligsprechungsprozessen von Escribá de Balaguer, Mutter Teresa und Johannes Paul II. Erst mit Papst Franziskus – und keinesfalls deshalb, weil er Jesuit ist wie Pater Arrupe – wurden in beiden Fällen die Hindernisse überwunden.

Worauf es nach dem Tod von herausragenden Christen ankommt, ist nicht die Anerkennung dessen, dass sie alle erforderlichen Vorgaben für ihre Heiligsprechung erfüllt haben. Worauf es vielmehr ankommt, ist, dass herausragende Christinnen und Christen besser bekannt werden und viele mit Menschlichkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit durchdringen. Dass sie uns insbesondere zur Nachfolge Jesu und dazu bewegen können, sein Kreuz zu tragen, dass sie uns zur größeren Liebe motivieren können, das Leben für die Armen und Opfer hinzugeben. Dass sie uns letztlich zum Vertrauen auf einen Gott ermutigen können, der ein Vater ist, und zur Verfügbarkeit angesichts eines Vaters, der zugleich Gott ist und bleibt.

 

Aus dem Spanischen übersetzt von Bruno Kern

FOTO: KNA-BILD
Bei der Willkommensfeier für Papst Franziskus während des Weltjugendtags 2019 in Panama City halten Jugendliche ein Poster mit dem Bild von Oscar Romero hoch. Für viele von ihnen steht der Heilige für Menschlichkeit, Barmherzigkeit und Wahrheit. Sein Leben für die Armen bleibt unvergessen.
FOTO: KNA-BILD
Wie bedankt man sich, wenn man nichts zu verschenken hat? Der Bewohner eines Slums lud Pater Arrupe zu sich nach Hause ein, um ihm mit dem wunderschönen Sonnenuntergang, den man von dort beobachten kann, für alles zu danken, was der Pater für die Slumbewohner getan hat.

»Diese Messe in der Favela«

In Brasilien schrieb Pater Arrupe nach dem Besuch einer Favela, in der einige Jesuiten arbeiteten, einen Text, der hier in gekürzter Version veröffentlicht wird: In der schmutzigen Favela lebten ein paar Hunderttausend Menschen. Die Messe fand unter einer Art großem Dach in schlechtem Zustand statt. Es gab keine Tür, es liefen Hunde und Katzen frei herum. Die Eucharistiefeier begann mit der Musik. Sie war nicht sehr anspruchsvoll, eine Gitarre, und man sang: »Lieben heißt sich geben«. Je länger das Lied dauerte, umso stärker spürte ich einen großen Knoten in meiner Kehle. Es kostete mich echte Anstrengung, um mit der Messe fortzufahren. Dann kam der Augenblick der Wandlung. As ich die Hostie emporhob, spürte ich inmitten der erschreckenden Stille die Freude des Herrn, der dort zu finden ist, wo man liebt. Als ich die Kommunion austeilte, sah ich, dass über diese trockenen, harten, von der Sonne verbrannten Gesichter Tränen wie Perlen liefen. Sie waren Jesus begegnet, ihrem einzigen Trost. Meine Hände zitterten. Die Predigt war kurz. Sie war vor allem ein Gespräch. Eine kleine Alte sagte mir tausendmal Dank, denn: »Diese Patres haben uns gelehrt, unsere Feinde zu lieben.« Ein Bursche, der sich vor einer Woche ein Messer besorgt hatte, um einen Kumpel zu töten, dankte mir, denn aufgrund der Predigt des lieben Paters habe er Folgendes getan: »Anstatt meinen Kumpel zu töten, habe ich ein Eis gekauft und es ihm geschenkt.« Nach der Messe kam ein dicker Mann zu mir, der wie ein Verbrecher aussah und sagte: »Kommen Sie zu mir nach Hause. Ich habe ein Geschenk für Sie.« Das Haus war eine halbverfallene Hütte, und er forderte mich auf, auf einem wackeligen Stuhl Platz zu nehmen. Von meinem Platz aus konnte ich den Sonnenuntergang beobachten. Der Dicke sagte mir: »Schauen Sie doch, mein Herr! Wie schön!« Wir verharrten einige Minuten in Schweigen. Die Sonne verschwand. Der Mann rief aus: »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für alles, was Sie für uns getan haben, danken soll. Ich habe nichts, was ich Ihnen geben könnte. Aber ich dachte mir, dass es Ihnen gefallen würde, diesen Sonnenuntergang zu sehen. Hat er Ihnen denn gefallen? Auf Wiedersehen!« Und er gab mir die Hand.