Den Frieden aufbauen

Was es heißt, ein Friedensstifter zu sein

Erfahrungen eines Erzbischofs in Nordostindien

von Erzbischof em. Thomas Menamparampil

Aus dem Englischen übersetzt von Katrin Krips-Schmidt

Der Nordosten Indiens umfasst die Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Manipur, Meghalaya, Mizoram, Nagaland und Tripura. Unter der Bezeichnung »die sieben Schwesternstaaten« bekannt, sind sie seit  Jahrzehnten Schauplatz gewalttätiger Aufstände. Seit 1996 arbeitet die Ortskirche durch ihr gemeinsames Friedensmissionsteam daran, solche Konflikte beizulegen.

Autor

Erzbischof em. Thomas Menamparampil
Von 1992 bis 2012 Erzbischof von Guwahati, von 2011 bis 2016 Apostolischer Administrator der Diözese Jowai

Im Jahr 2015 erhielt die Friedensinitiative Joint Peace Mission Team of Northeast India (JPMT) viel Aufmerksamkeit, als etliche junge Männer der Garo bei einer Versöhnungsfeier in Tura im Bundesstaat Meghalaya ihre Waffen abgaben. Das Ereignis fand statt, kurz nachdem das Friedensteam einen eindringlichen Friedensappell lanciert hatte. Dies weckte neues Interesse an dem von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Friedensteam. Das JPMT entstand 1996 als Reaktion auf den Konflikt zwischen Stämmen der Bodo und der Adivasi in Assam, der mehr als 250.000 Menschen in mehr als 47 Flüchtlingslager getrieben hatte. Die Tragödie fand kurz nach einer Wahl statt, und die Regierung war zu sehr damit beschäftigt, die Posten zu verteilen. Für die christlichen Kirchen in der Region gab es keine andere Wahl, als sich aus vollem Herzen in die Hilfseinsätze zu stürzen, um den Menschen, die unter armseligsten Bedingungen leben, zu Hilfe zu kommen. Glücklicherweise beschlossen die Kirchenführer, zusammenzuarbeiten und sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen, was ihre gemeinsamen Anstrengungen besonders erfolgreich machte. Aus diesem Geist der Kooperation und der gespannten Erwartung der leidenden Gemeinschaften heraus entwickelte sich das Friedensteam. Das JPMT brachte Vertreter der Konfliktparteien zusammen und ermöglichte damit einen Dialog. Nach einigen Gesprächsrunden und intensiven Besuchen in den Dörfern stellte sich wieder Frieden ein, die Atmosphäre verbesserte sich, Beziehungen wurden wiederhergestellt und das Leben normalisierte sich. Die erfolgreiche Bewältigung dieses zunächst unüberschaubaren Problems brachte die Regierung dazu, den christlichen Beitrag zum Frieden gebührend zu schätzen.

Seitdem, also seit rund 20 Jahren, ist das JPMT bei mehr als einem Dutzend interkommunaler Konflikte in Nordostindien gebeten worden zu helfen. Dabei war jeder Konflikt einzigartig, jeder hatte einen eigenen Auslöser, eigene Kennzeichen und einen eigenen Weg zur Versöhnung. Wir haben niemals behauptet, dass der Frieden allein durch unsere Arbeit zustande kam, doch wir freuen uns, dass wir einen kleinen Beitrag dazu geleistet haben.

Was wir für uns in Anspruch nehmen, ist einzig, dass wir den guten Willen und die Kooperationsbereitschaft hervorgerufen und die Richtung aufgezeigt haben. Doch die Entscheidungen haben die betroffenen Parteien selbst getroffen, in der Regel unter der Leitung der Verwaltung. Unsere übliche Strategie bestand darin, übermäßige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu vermeiden, um nicht Neid oder Opposition hervorzurufen. Wir haben niemals offizielle Strukturen aufgebaut oder es auf organisierte Spendenprogramme abgesehen. Wir haben uns darauf konzentriert, brüderliche Verbundenheit zwischen den Kirchenführern aufzubauen, und waren bestrebt, diese zu stärken, wann immer wir zusammenkamen. Denn der Weg zum Frieden ist mühsam. Doch als Mitglieder des JPMT haben wir bei unserer entschlossenen Anstrengung für den Frieden viel gelernt.

Der Kämpfer ist heute der Held

Der Friedensstifter ist jemand, den es in unseren Zeiten quasi nicht gibt. Ich sage das, weil wir mehr als ein Jahrhundert lang mit Philosophien des Kampfes gefüttert wurden (Darwin, Marx, Nietzsche sowie Propagandisten faschistischer, nationalsozialistischer und kommunistischer Ideologien, auch in ihren gemäßigteren Versionen, ethnische Ideologien und religiöser Fanatismus). Wir sind derart begeistert von den Idealen des Kämpfens und Streitens für Rechte und Gerechtigkeit, dass unser Kampfgeist zugenommen hat und unsere Fähigkeiten zur Versöhnung nachgelassen haben. Selbst christliche Gemeinden wurden davon beeinflusst. So haben beispielsweise einige lateinamerikanische Befreiungstheoretiker vorgeschlagen: »Der Christ muss jeden Menschen lieben, doch nicht alle auf die gleiche Weise; wir müssen den Unterdrückten lieben, ihn verteidigen und befreien; den Unterdrücker müssen wir jedoch anklagen und bekämpfen« (Brian Frost, The Politics of Peace, London 1991). Daher ist es kein Wunder, dass heutzutage der Kämpfer der Held ist – und nicht der Friedensstifter. Was für Schlagzeilen sorgt, ist: Action, Explosionen, Konfrontationen, Kollisionen, gegenseitige Zerstörung. Was von einem engagierten Aktivisten erwartet wird, ist: zu verurteilen, zu denunzieren, bloßzustellen, herauszufordern und zu demütigen. Wenn er das am besten erledigt, erscheint er als Held. Doch wir vergessen dabei, dass Verurteilung entfremdet und zerstreut. Mitfühlendes Verständnis hingegen bringt zusammen.

Wir vergessen unsere traditionellen Fähigkeiten zur Versöhnung. Infolgedessen laufen wir Gefahr, bestimmte menschliche Grundfähigkeiten zu verlieren, die in allen Kulturen verankert sind. Dazu gehören der respektvolle Umgang mit dem Standpunkt einer anderen Person, eines anderen Stammes oder einer anderen Gemeinschaft; der Versuch, andere zu verstehen und Verständnis für ihre Ziele oder zumindest für einige Aspekte aufzubringen; einen Dialog zu führen, zu erklären, freundschaftlich zu debattieren. Weiter zählen dazu die Bereitschaft, zu verhandeln, aggressive Sprache zu vermeiden, Überzeugungsarbeit zu leisten; nachzugeben, Zugeständnisse zu machen, zu erdulden, zu vergeben, Zusammenarbeit anzubieten, auf schonenderen Lösungen zu bestehen und zu Kompromissen aufzufordern. Das erste, was unser Friedensteam lernte, war, dass jeder, der ein Friedensstifter sein möchte, einige dieser zuvor erwähnten Fähigkeiten der Auseinandersetzung verlernen und die für die Versöhnung benötigten Fertigkeiten entwickeln muss, und dass er anderen beibringen muss, das Gleiche zu tun. Das ist es, was wir seit dem Konflikt zwischen den Bodo und den Adivasi in Kokrajhar im Jahr 1996 bestrebt sind zu tun.

Konfliktursachen

Konfliktursachen in unterschiedlichen Weltregionen können sein: ethnische, regionale, nationale, religiöse, ideologische Differenzen. Hier bei uns herrschen die ethnischen Differenzen vor. Die jüngsten Statistiken belegen, dass es in einer Gesellschaft mit einem hohen Anteil junger Menschen mehr Gewaltvorfälle gibt als in anderen Gesellschaften. Junge Menschen neigen dazu, idealistisch zu sein, sie sind erpicht auf die Bestätigung Gleichaltriger, bereit, Risiken auf sich zu nehmen und naiv zugänglich für vereinfachende ideologische Erklärungen. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung im Nordosten Indiens sind junge Menschen. Sie sind es denn auch, die auftreten, um die Interessen ihres eigenen Volkes zu verteidigen, wenn entlang ethnischer Grenzen Ungerechtigkeit empfunden wird. Der Missstand kann dann mit Forderungen der »Söhne der Scholle« (sons of the soil), mit Fragen von Landeigentum, Ernten, Transport- oder Vertriebsanlagen oder politischer Vertretung verknüpft werden. Binnenmigranten auf der Suche nach Grundbesitz oder nach Jobs verschlimmern die Lage.

Leider gibt es Führungspersönlichkeiten, die die explodierende Tatkraft junger Menschen gerne politisch instrumentalisieren – und nicht selten für Kampagnen gegen »Außenseiter«. Dabei dulden sie stillschweigend, dass die Jugendlichen Waffen erwerben. Und junge Menschen, die die Schule abgebrochen haben, in der Wirtschaft an den Rand gedrängt und in der Gesellschaft ignoriert werden, fühlen sich plötzlich machtvoll und stark, wenn sie eine tödliche Waffe in die Hand bekommen. Diejenigen, die unter dem Vorwand der »Verteidigung« ihres eigenen Volkes zu den Waffen greifen, entwickeln allmählich aggressive Methoden. Sie erpressen zunächst Geld von Geschäftsleuten von »außerhalb«, dann von ihrem eigenen Volk. Sie dienen den politischen Interessen gesellschaftlich einflussreicher Personen, um soziale Anerkennung zu erhalten. Mit der Zeit sind sie nicht mehr bereit, diesen Lebenswandel, in dem sie sich eingerichtet haben, aufzugeben. Und die Gewalt unterschiedlicher Intensität bleibt weiterhin bestehen, wie es in den letzten Jahren in den Garo Hills der Fall war. Ein solches Pulverfass kann beim geringsten Anlass explodieren. In der Region gibt es zu viele Gruppen, die sich in einem solchen Zustand der Gewaltbereitschaft befindet.

Wie kann man in Konfliktzeiten hilfreich eingreifen?

Wenn wir es als erwiesen erachten, dass die eine Seite auf jeden Fall recht hat und die andere gänzlich falsch liegt, dass die eine ein Dämon und die andere ein hilfloses Opfer ist, dann wird es uns nicht gelingen, Vermittler zwischen den beiden Konfliktparteien zu werden. Denn beide Gegner sind jeweils davon überzeugt, dass sie für eine gute Sache kämpfen. Wir haben uns die Klagen der Menschen aus den Stammesgruppen der Kuki und der Paite in Manipur angehört, nachdem sie 1998 in Streit geraten waren. Die Lage war so entsetzlich, dass die Menschen in ihren eigenen Häusern Gräben ausgehoben hatten, um ein wenig Schlaf zu bekommen. In der Nacht hätte eine Kugel jederzeit durch das Fenster einschlagen können. Beide Gruppen kämpften für »Gerechtigkeit« – jede Gemeinschaft für ihr jeweiliges Verständnis davon. Somit prallten verschiedene Wahrnehmungen von Gerechtigkeit aufeinander. Wenn Gerechtigkeit auf Gerechtigkeit trifft, befindet sich der Friedensstifter in einer hilflosen Lage. Das Verkünden und Wiederholen pazifistischer Plattitüden in der Anfangsphase des Dialogs, wenn sich die streitenden Parteien in aggressiver Weise gegenüberstehen, wird von den Konfliktparteien als extrem störend und demütigend empfunden werden. Voreilige Verurteilungen werden sie wütend machen.

Der Friedensstifter wird nicht in der Lage sein, zwischen Gruppen, die miteinander im Streit liegen, einen Friedensdialog anzustoßen, es sei denn, er bringt ein gewisses Maß an Mitgefühl für ihre Konfliktangelegenheit mit. Selbst wenn er glaubt, dass ihre Forderungen überzogen sind – wenn er sich nicht tief in sie hineinversetzen kann und von der Leidenschaft berührt ist, die sie für ihre Ziele aufbringen, sowie von ihrem Gerechtigkeitssinn, der sie oder zumindest einige Aspekte ihres Streitfalls motiviert, wird er einen Dialog nicht einmal initiieren können. Doch wenn der Friedensstifter von dem Ausmaß ihrer Klagen zutiefst beeindruckt ist und die Auswüchse, zu denen ihr »berechtigter Zorn« sie getrieben hat, verstehen (nicht notwendigerweise gutheißen) kann, wird die streitende Gruppe allmählich anfangen zu reagieren. Das Gleiche wird für die andere Partei gelten. Keine der Gruppen wird von den Friedensstiftern verlangen, ihre Maßlosigkeit hinzunehmen; sie bitten das Peace Team einzig, zu »verstehen «, weshalb sie so gehandelt haben, um ihre Sache zu verteidigen. Sie bitten die Friedensstifter nicht, viel zu sagen, sondern viel zu »fühlen«. So kam der Frieden zu den Dimasa und den Hmar in Haflong nach einem schweren Konflikt im Jahr 2003 durch die intensiven Bemühungen des Friedensteams. Zuhören hatte heilende Kraft.

Kämpfer sehnen sich nach Frieden

Wir dürfen nicht vergessen, dass es selbst im Herzen des härtesten Kämpfers eine tiefe Sehnsucht nach Frieden gibt. Das Friedensteam konnte das 2003 während des Konfliktes zwischen den Kuki und den Karbi in Diphu feststellen. In der Auseinandersetzung ging es um den von Migranten erzielten Gewinn im Ingwerhandel. Die Parteien stellten folgende Fragen: »Frieden, ja – doch zu welchen Bedingungen? Und zu wessen Bedingungen?« Gewiss nicht auf Kosten ihrer zentralen Interessen, einschließlich ihrer kollektiven Vorstellung! Und trotzdem freuen sich selbst die wildesten Kämpfer über ein Friedensangebot. Gerade an diesem verborgenen Einstiegspunkt versucht der Friedensstifter anzusetzen. Letztlich entspannte sich der Konflikt und die Kuki und die Karbi waren damit einverstanden, sich zu einigen. Das Wichtigste für den Friedensstifter ist, im Unterbewusstsein der sich bekriegenden Gruppen auf positive Weise präsent zu sein. Seine Fähigkeit, mit den betroffenen Beteiligten vertrauensbildende Beziehungen aufzubauen, ist der Schlüssel zum Erfolg. Er muss gegenüber allen Betroffenen fair sein, Egoansprüchen konsequent aus dem Weg gehen, warmherzige Beziehungen zu den Menschen knüpfen und für sein Einfühlungsvermögen und seinen allgemeinen Überblick bekannt sein. Unser Friedensteam durfte das nicht vergessen, als wir 2010 im Konflikt zwischen den Bodo und den Muslimen in Udalguri eingriffen. Ein Engagement für die Humanität, das die eigenen Worte, Taten und Beziehungen durchdringt, sagt über einen Friedensstifter weit mehr aus als irgendwelche Vorgehensweisen, die er sich erst kurz zuvor auf einem Seminar über Konfliktlösung angeeignet hat. Dies sollte Hand in Hand gehen mit Sensibilität gegenüber menschlichem Leid, wobei es egal ist, wer leidet.

Wenn ein (bewaffneter) Konflikt zwischen Gemeinschaften ausgebrochen ist, besteht unsere größte Herausforderung darin, die »richtigen« Leute für die Verhandlungen zusammenzubringen. Doch, wer sind die »richtigen« Leute? Es ist nicht einfach, Frontkämpfer zu Friedensgesprächen zu bringen; ihre Fähigkeiten liegen auf anderen Gebieten. Die Personen, auf die es in einem Friedensdialog in der ersten Phase ankommt, würde ich als »denkende« Menschen beschreiben, als einfühlsame Führungspersönlichkeiten, als Personen, die von beiden Seiten respektiert werden. Dazu können Intellektuelle, Denker, Schriftsteller, Lehrer, Sozialarbeiter und Menschen gehören, die der Gesellschaft Anregungen geben und deren Worte unstrittig sind. So agierten wir 2011 während des Konfliktes von Garo- Rabha in Mendipathar. Und die Gemeinschaften reagierten unverzüglich.

Der Friedensstifter – ein Moderator

Am besten ist es, wenn der Friedensstifter lediglich jemand bleibt, der Vertrauen aufbaut, wenn er ein »Ermöglicher« (facilitator) ist, der dabei hilft, eine gelassene Atmo- sphäre zu schaffen – eine Atmosphäre, in der es leicht fällt, miteinander umzugehen. In entscheidenden Momenten kann er einen Schritt vorwärts vorschlagen, zu tieferen Überlegungen auffordern, eine Lösung zuflüstern, was den streitenden Parteien ermöglicht, ihre Differenzen beizulegen. Wenn er unscheinbar im Hintergrund bleibt und sich in Zurückhaltung übt, kann sein langfristiger Beitrag größer sein. Je weniger er in den natürlichen Lauf der Dinge und den normalen Diskussionsprozess eingreift, umso besser. Schließlich ein Wort zum Thema Kompromisse. Zusammenzuleben bedeutet immer auch, sich auf Kompromisse einlassen zu können. Das gilt für eine Familie, ein Dorf, ein Land sowie für die internationale Gemeinschaft. Der wertvollste Beitrag, den ein Friedensstifter-Team anbieten kann, ist es, verfeindete Parteien allmählich an ein Verstehen und Annehmen dieser großen Wahrheit heranzuführen. Auf Schlagzeilen mag man sich ja vielleicht etwas einbilden, doch die Früchte davon können nicht nachhaltig sein. Verfrühte Publicity kann fatal sein. Diejenigen, die keinen Frieden wollen, stöbern den Friedensstifter möglicherweise in irgendeiner Phase auf und bringen ihn zum Stolpern. Zu handeln, ohne in Erscheinung zu treten – das ist die Rolle des Friedensstifters in komplexen Situationen. Man sollte frei davon sein, sich in Szene setzen zu wollen. Daher ist das JPMT außerhalb Nordostindiens auch nur wenig bekannt. Sein Beitrag zur Aufhebung einer viermonatigen Wirtschaftsblockade in Manipur vor fünf Jahren ist selbst innerhalb der Region unbekannt.

Was unser Friedensteam am Ende des Dialogs tut, ist, gemeinsam mit den Vertretern der beiden betroffenen Gruppen einen Friedensappell zu formulieren. Und wenn der Appell respektvoll, behutsam ausgearbeitet und ausgewogen ist und den Realitäten und Bedürfnissen entspricht, ruft man damit im Allgemeinen eine gute Reaktion hervor. Die Teilnehmer der Gesprächsrunden können sich bemühen, Sitzungen auf lokaler Ebene zu organisieren und die gleiche Atmosphäre des Wohlwollens zu erzeugen. Wenn es in den Gemeinschaften eine breite Akzeptanz der Vorschläge gibt, können die Anführer der Gemeinschaften zur abschließenden Verhandlungsrunde im Beisein der Zivilbehörden weitergehen, bei der das Friedensteam gar nicht mehr anwesend sein muss. Wenn das Team bei diesem Prozess glatt vergessen oder an den Rand gedrängt wird, freuen wir uns, denn das ist nun mal die Natur der Dinge, dass der Frieden in einer Gemeinschaft letztlich von den betroffenen Menschen selbst wiederhergestellt wird. 2015 kehrten die Adivasi von Uriamghat wieder in ihre Häuser zurück, aus denen sie mehrere Monate zuvor vertrieben worden waren.

Die Mystik des kurzen Augenblicks

Am schwersten sind Erinnerungen an historische Verletzungen zu heilen. Vielleicht gilt das besonders an Orten wie dem Nahen Osten. Doch selbst in unserer Region können Erinnerungen an erlittene Verletzungen in den Herzen des Volkes lebendig bleiben, und gegenseitige negative Vorurteile geistern noch lange Zeit in den im Streit liegenden Gruppen herum. Wenn es zu keiner Heilung kommt, können Feindseligkeiten zu jeder Zeit erneut aufbrechen. Daher stellen die Versöhnung mit Erinnerungen und der Abbau von Vorurteilen eine große Aufgabe für den Friedensstifter dar.

Die Erfahrung lehrt uns, dass es in einer komplexen Situation viele Dinge gibt, die den Friedensstifter entmutigen können. Die Vertreter der verfeindeten Gruppen lehnen es vielleicht ab, zum Dialog zu erscheinen. Ihre Ohren sind für ihn und seine Initiativen taub. Folgebemühungen nach der Versöhnung werden vielleicht überhaupt nie in Angriff genommen. Vielleicht sind die Leute entmutigt, wenn nach einer Friedensvereinbarung die Gewalt wiederkehrt. Kollektive Wut kann erneut aufflammen, wenn ein Mitglied ihrer Gemeinschaft unerwartet getroffen wird. Böswillige Gerüchte können gezielt verbreitet werden. Möglicherweise spielt die Presse die Opferzahlen hoch, legt Dinge falsch aus und ignoriert die Initiativen und Erfolge der Friedensstifter. Diese fühlen sich dann in ihrem Kampf möglicherweise alleingelassen. Dann aber offenbart sich die Wahrheit völlig unerwartet, und der Frieden kehrt wieder zurück. Und das Friedensteam gewinnt unverhoffte Anerkennung, wie es 2015 geschah, als die in Deutschland ansässige Berghof Foundation die Arbeit und die Methoden des Peace Team der internationalen Aufmerksamkeit empfahl.

Eine letzte Lehre für einen Friedensstifter, der ein religiös Gläubiger ist: Er oder sie wird Vertrauen haben müssen auf das, was ich als »die Mystik des kurzen Augenblicks« bezeichne, auf die Macht des Gebetes. Das Gebet ist die Kraftquelle in Momenten der Angst, der Anspannung, des Widerspruchs, der Entmutigung, des Scheiterns und der Demütigung. Gerade aus dieser Kraft bauen die Friedensstifter Brücken zwischen Gemeinschaften und Kulturen, schaffen Differenzen aus der Welt, überzeugen Menschen, zu vergeben und einander die Hände zu reichen und sich darum zu bemühen, eine bessere Welt zu schaffen. Die Friedensstifter erinnern sich ferner daran, dass Friedensstifter in unterschiedlichen Weltregionen nicht immer Erfolg hatten, dass einige ihr Leben verloren und dass sich manche ihrer Geschichten wie tragische Niederlagen lesen. Obwohl das ökumenische Joint Peace Mission Team in Nordostindien sich dieser Tatsachen voll bewusst ist, hat es niemals die Hoffnung verloren. Und wenn unsere kleinen Erfolge zusammengerechnet werden, scheinen sie nicht unbedeutend zu sein. Denn in Gott ist nichts verloren. Der Frieden kommt zu seiner Zeit. Es gibt viele Wege, auf denen Gott die Menschen »Schwerter zu Pflugscharen schmieden« lässt (Jes 2,4). Unser Friedensteam ist überglücklich, wenn es dabei eine kleine und bescheidene Rolle gespielt hat.

Foto: Vishma Thapa/Wikimedia Commons
Junge Frauen aus dem Stamm der Garo in traditioneller Kleidung. Das Joint Peace Mission Team vermittelte 2015 in einem Konflikt in den Garo Hills.
Foto: Stefan Voges/missio
Als Hauptstadt des Bundesstaates Meghalaya und Sitz eines katholischen Erzbistums ist Shillong einer der zentralen Orte in Nordostindien.
Foto: Anne Knörzer/missio
Schülerinnen und Schüler in einer Schule im Erzbistum Guwahati. Gerade für die Zukunft der jungen Generation ist ein stabiler Friede wichtig.
Foto: Stefan Voges/missio
Der Autor des Artikels, der emeritierte Erzbischof von Guwahati Thomas Menamparampil, bei einer Veranstaltung in Guwahati im Oktober 2016.