Tissa Balasuriya OMI

Foto: Georg Evers

Tissa Balasuriya OMI, geboren 1924, ist spätestens seit seiner Exkommunikation im Jahre 1997 über Sri Lanka hinaus weltweit bekannt geworden. Aber auch vorher war der streitbare Theologe und Sozialwissenschaftler in den Kreisen der Dritte-Welt-Theologen, und hier besonders in der Gruppe der Ökumenischen Vereinigung von Dritte-Welt-Theologen (EATWOT), zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte und dessen asiatische Sektion er von 1976– 86 geleitet hat, ein gefragter und geschätzter Gesprächspartner. Das von ihm zusammen mit Bischof Leo Nanayakkara 1971 in Colombo gegründete »Zentrum für Gesellschaft und Religion « (Centre for Society and Religion) hat über Jahrzehnte hinweg die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Entwicklungen in Sri Lanka kritisch begleitet und mit seinen Publikationen und Zeitschriften wie »Social Impact«, »Logos« und »Quest« wichtige Analysen und Hintergrundinformationen geliefert. In zahllosen Kursen wurden hier Mitglieder von Basisgruppen und sozial engagierte Personen unterschiedlicher Herkunft ausgebildet und geschult. Im Programm des Zentrums wird dessen Zielsetzung knapp so umrissen: »Das Zentrum will Hilfe für eine integrale Befreiung der Bevölkerung des Landes leisten durch die Verwirklichung menschlicher Werte in der wirtschaftlichen Entwicklung, durch soziale Gerechtigkeit, durch kulturelle und soziale Emanzipation und durch die Vertiefung spiritueller Werte.« Die Gründung des Zentrums fiel in die Zeit der von der Regierung brutal und blutig niedergeschlagenen Jugend- und Studentenunruhen, die sich für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in Sri Lanka einsetzten.

Biographische Daten

  • 1924 geboren;
  • 1945 Eintritt in den Oblatenorden;
  • 1952 Priesterweihe;
  • 1964–1971 Rektor des Aquinas University College in Colombo;
  • 1971 Mitbegründer der Menschenrechtsbewegung (Civil Rights Movement) von Sri Lanka und des »Zentrums für Gesellschaft und Religion« in Colombo;
  • seit 1971 Leiter des »Zentrums für Gesellschaft und Religion «;
  • 1969–1979 Geistlicher Direktor der Internationalen Katholischen Studentenbewegung; – 1976–1986 Asiatischer Koordinator der Ökumenischen Vereinigung von Dritte-Welt-Theologen (EATWOT);
  • 1977 Gründungsmitglied der Bürgerkomitees für Nationale Harmony in Sri Lanka;
  • 1992 Gründer und Koordinator des Afrikanisch-Asiatischen Forums für Spiritualität;
  • 1993 Internationaler Sekretär des Internationalen Forums von Ordensleuten für Globale Solidarität;
  • 1993 Beginn eines kanonischen Verfahrens durch die Bischofskonferenz von Sri Lanka wegen des Buches »Maria und die Befreiung des Menschen«;
  • 1994 Öffentliche Warnung der Bischofskonferenz Sri Lankas vor Schriften von T.B.;
  • 1997 Exkommunikation durch die Glaubenskongregation;
  • 1998 Aufhebung der Exkommunikation

In vielen Publikationen hat Tissa Balasuriya die Auswirkungen der Globalisierung kritisch beschrieben und sich gegen den Ausverkauf srilankesischer Interessen an die internationalen Großkonzerne und einer Politik der »Strukturanpassung« gewandt, deren Konsequenzen unweigerlich zur weiteren Ausbeutung der ärmeren unteren Schichten in der Gesellschaft führen musste. Auch wenn die Arbeit und die Positionen von Balasuriya oft innerhalb der Ortskirche Sri Lankas umstritten waren, so war das Zentrum für Gesellschaft und Religion für die Bischofskonferenz doch immer eine wichtige Informationsstelle, und Tissa Balasuriya wurde oft herangezogen, wenn die Bischöfe in Hirtenworten zu den drängenden politischen und ideologischen Verhältnissen im Lande sich äußern wollten. Über Jahre hinweg hat sich der Theologe und Ordensmann in der Friedensarbeit engagiert und nach Wegen gesucht, um in den ethnischen Auseinandersetzungen in Sri Lanka sozial gerechte Lösungen zu finden.

Sicher, Tissa Balasuriya hat in der Art seines Auftretens und in der prophetischen Härte und Schärfe seines Urteils des öfteren Anstoß erregt und wohl auch sich selber und seinen Anliegen damit geschadet. Es war aber dann doch überraschend, dass es 1992 wegen eines Buchs über Maria zu den heftigen und alle Beteiligten verletzenden Auseinandersetzungen gekommen ist, die mit der Exkommunikation von Tissa Balasuriya im Januar 1997 ihren Höhepunkt fanden. Das immer wieder als »Buch« bezeichnete Werk »Maria und die menschliche Befreiung« (Mary and Human Liberation) war ursprünglich als eine Doppelnummer der Zeitschrift »Logos « 1990 erschienen. Es steht in einer Reihe mit anderen Veröffentlichungen des Autors, in denen er schon früher z. B. über »Jesus Christus und die menschliche Befreiung« (1976) oder »Die Eucharistie und menschliche Befreiung« (1977) geschrieben hatte. Tissa Balasuriya wollte mit seinem Buch über Maria im wesentlichen nur zeigen, dass das traditionelle Marienbild von »Maria als der demütigen Magd« einer Korrektur bedarf, um die auf die Befreiung des Menschen gerichtete Botschaft ihres Lebens und Wirkens herauszustellen.Was Tissa Balasuriya dann über die befreiende Rolle Marias geschrieben hat, stützte sich auf in Kreisen der Befreiungstheologie und besonders unter feministischen Theologinnen verbreitetes Gedankengut. Bei seinem Erscheinen 1990 in der Zeitschrift »Logos« hat das Werk dann auch zunächst keinerlei Anstoß erregt. Erst, als Ende 1992 die gerade in der Bischofskonferenz Sri Lankas errichtete Kommission für Glaubensfragen die Orthodoxie der in diesem Buch über die Mariologie, die Soteriologie und Christologie gemachten Aussagen in Frage stellte, wurde das Buch wieder beachtet und zum Stein des Anstoßes. Die Auseinandersetzungen zwischen Tissa Balasuriya und der Bischofskonferenz gerieten durch Veröffentlichungen von beiden Seiten schnell zu einer Angelegenheit, die nicht nur in Sri Lanka, sondern weit darüber hinaus, Aufmerksamkeit erregte. Als sich dann 1994 die Glaubenskongregation in Rom der Sache annahm, wurde der »Fall Tissa Balasuriya« erst recht zu einer über die Person des Theologen hinweg die gesamte asiatische Theologie betreffenden Angelegenheit. Die von Rom am 2. Januar 1997 ausgesprochene Exkommunikation wurde weltweit als eine auf die asiatische Theologie im allgemeinen zielende disziplinierende Maßnahme verstanden. Das ungeschickte Agieren auf beiden Seiten der Auseinandersetzung tat ein Übriges, um die Angelegenheit polemisch aufzuheizen. Das Ansinnen Roms, dass Tissa Balasuriya ein ganz auf seinen Fall zugeschnittenes »Glaubensbekenntnis« zum Zeichen seiner Unterwerfung und Korrektur bisher vertretener unorthodoxer Gedanken ablegen sollte, stieß nicht nur bei dem direkt Betroffenen auf Unverständnis und Widerstand. Es war dem Einsatz der Ordensleitung der Oblaten zu verdanken, dass die Angelegenheit mit einem Vergleich zu einem gütlichen Ende gebracht, und die Exkommunikation schließlich im Januar 1998 aufgehoben wurde.

Warum gerade sein Buch über Maria in die Kritik geriet, ist nicht ganz deutlich und wohl eher vom Zufall bestimmt gewesen. Die Glaubenswächter in Rom hätten sich wohl eher mit dem ein Jahr später 1991 geschriebenen Buch: »Zurechtrücken der Beziehungen: Die Entgleisung und die Neuverwurzelung der Christlichen Theologie« (Right Relations, De-Routing and Re- Rooting of Christian Theology) – es handelt sich wieder um eine Doppelnummer der Zeitschrift Logos – befassen sollen. In diesem Buch stellt Tissa Balasuriya im Blick auf die Theologiegeschichte zunächst fest, dass die Fragestellungen und Antworten der ersten ökumenischen Konzilien zur Gotteslehre, zur Christologie und Erlösung aus der Sicht der Problematik einer asiatischen Theologien nur wenig Relevanz hätten. Um eine auf die asiatischen Probleme besser abgestimmte Theologie zu entwickeln, fordert er, dass asiatischen Theologen die Freiheit eingeräumt werden müsse, im Rückgriff auf asiatische kulturelle und religiöse Traditionen neue theologische Vorstellungen und Begriffe zu entwickeln, die sich wesentlich von den traditionellen griechisch-römischen theologischen Begriffen unterscheiden würden. Dieser Forderung nach einem legitimen theologischen Pluralismus in Methode und Begrifflichkeit steht die Glaubenskongregation aber negativ gegenüber, wie es das Vorgehen gegen weitere asiatische Theologen und nicht zuletzt die von ihr im August 2000 herausgegebene Erklärung »Dominus Jesus « belegt.

Es wäre sicher falsch, das vielfältige Wirken von Tissa Balasuriya, dessen Stärke wohl eher auf den Gebieten der Sozialethik, der Entwicklungsproblematik und des sozialen Apostolats als auf dem rein theologischem Sektor liegen, nur an den Auseinandersetzungen um seine Exkommunikation zu messen. Der Theologe, der zum Zeitpunkt seiner Exkomunikation 72 Jahre alt, 51 Jahre Mitglied des Oblatenordens und 44 Jahre Priester war, hatte sein Lebenswerk damals schon im wesentlichen vollbracht. Vor der Gründung des »Zentrums für Gesellschaft und Religion«, das man wohl als seine wichtigste Leistung betrachten darf, war er 1964 –71 Rektor des Aquinas University College in Colombo und 1969 –79 geistlicher Leiter der »Asian Catholic Student Federation. In beiden Tätigkeiten hat er viel für die Umsetzung der Neuaufbrüche des II. Vatikanischen Konzils geleistet. Mit einem Beitrag in der indischen theologischen Zeitschrift Clergy Monthly, heute Vidyajyoti, im August 1968 mit dem Titel »Über die Notwendigkeit einer Asiatischen Bischofskonferenz « hat er sich in prophetischerWeise für die Gründung einer »Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen « (FABC) eingesetzt, ein Projekt, das schließlich in Manila 1970 verwirklicht wurde. Von bleibender Bedeutung sind seine Darstellungen und Analysen der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme seiner Heimat, die er in vielen schriftlichen Beiträgen, auf Veranstaltungen und in der Beratungstätigkeit über viele Jahre hinweg erbracht hat. Das von ihm geleitete »Zentrum für Gesellschaft und Religion« hat mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Grundsatzarbeit betrieben, um die gesellschaftlichen Spannungen und Auseinandersetzung in Sri Lanka zu beschreiben und nach gerechten und friedlichen Lösungen zu suchen. Wie bei vielen Pionieren zu beobachten, ist es bisher allerdings auch Tissa Balasuriya nicht gelungen, sein Haus zu bestellen und geeignete Nachfolger für die Leitungsfunktion in seinem Zentrum zu finden oder zu akzeptieren.

Seine Vorstellungen zur Entwicklung einer asiatischen Theologie hat Tissa Balasuriya, der selber nie hauptamtlich als theologischer Lehrer an einer kirchlichen Einrichtung tätig war, sondern eher ein Einzelkämpfer blieb, in einer Reihe von Veröffentlichungen vorgestellt. Zentral ging es ihm um das Thema der Befreiung, das er, sicher auch beeinflusst durch die lateinamerikanische Befreiungstheologie, als ein für Asien eminent wichtiges Thema in seiner Bedeutung für die Christologie, die Sakramentenlehre und die Mariologie dargestellt hat.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Tissa Balasuriya zweifellos eine Persönlichkeit ist, die auf den Gebieten des Sozialapostolats, einer asiatischen Theologie der Befreiung und der Inkulturation bahnbrechende Weichenstellung geleistet hat. Manche seiner Anregungen und Initiativen wurden jedoch missverstanden und abgelehnt, weil sie zu polemisch und zu wenig auf die Sensibilität weniger progressiv denkender Bischöfe, Theologen und Laien vorgetragen wurden.

GEORG EVERS
Missionswissenschaftler